Rathaus bei Nacht

DAs Rathaus bei Nacht

Foto: Edgar Nemschok

Geschichte des Rathauses

Geschichte des Rathauses

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Die Verkehrsanbindung an Berlin (1867) und die Entwicklung des Pferdesports (seit 1868) führten ausgangs des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem schnellen Ansteigen der Einwohnerzahl Neuenhagens. Während Im Jahre 1885 in Neuenhagen 748 Menschen lebten. waren es im Jahre 1905 bereits 2.209 und im Jahre 1925 stieg die Einwohnerzahl auf 4.722. Vielfältige neue Verwaltungs- und Versorgungsaufgaben waren durch die Gemeinde zu lösen, und die Gemeindeverwaltung konnte diese Arbeit nicht mehr wie früher durch einen ehrenamtlichen Gemeindevorsteher, seine zwei Schöffen und mit Hilfe eines Gemeindedieners und Nachtwächters ausführen.

Dringend erforderlich waren nunmehr neue Räume für den Gemeindevorstand und die in größerer Zahl erforderlichen Gemeindeangestellten der verschiedenen Ressorts, für den stark gewachsenen Publikumsverkehr und für die Sitzungen der größer gewordenen Gemeindevertretung und ihrer sechs Kommissionen.

Ein weiteres dringend zu lösendes Problem des stetig wachsenden Ortes war die Wasserversorgung. Die ständig steigenden Einwohnerzahlen und die neu entstandenen zahlreichen Gartengrundstücke ließen den Wasserverbrauch vor allem in den Sommermonaten rapide ansteigen. Neuenhagen litt jedes Jahr regelmäßig unter immer größer werdender Wasserknappheit. Für das Dorf Neuenhagen hatten früher trotz der ungünstigen Schichtenwasserverhältnisse Hausbrunnen und öffentliche Brunnen für Mensch und Vieh ausgereicht. Seit 1914 versorgte das Kreiswasserwerk Niederbarnim am Dämeritzsee bei Erkner die Gemeinde Neuenhagen über eine 62 km lange Druckrohrringleitung mit Wasser. Der Wasserdruck aber reichte für die vielen stark gewachsenen Gemeinden am Ost- und Nordostrand Berlins nicht mehr aus. Zur Verbesserung der Wasserversorgung Neuenhagens plante das Kreiswasserwerk daher die Errichtung eines Wasserturms.

Grundsteinlegung Rathaus
Erste Grundmauern stehen 1925.

In der Gemeindevertretung Neuenhagens kam der Gedanke auf, den Bau eines so dringend benötigten Rathauses und den des geplanten Wasserturms zu kombinieren, aber Inflation und leere Kassen verhinderten zunächst größere finanzielle Ausgaben der Gemeinde. So schrieb das Kreiswasserwerk nur einen Wettbewerb zum Bau eines Wasserturms aus, den Baurat Wilhelm Wagner aus Berlin-Charlottenburg als Projektant der Allgemeinen Bau-Aktiengesellschaft (ABA) gewann. Im Oktober 1924 wurde ein Bauvertrag zwischen dem Wasserwerk und der ABA geschlossen, und die Bauarbeiten auf dem Bullenberg begannen. Das Gelände wurde eingezäunt, die große Baugrube ausgehoben, Baumaterial herangeschafft, und Baubuden wurden aufgestellt. In letzter Minute vor dem Baubeginn entschloss sich die Gemeinde angesichts der sich abzeichnenden Verbesserung der Wirtschaftslage für die bereits früher eingereichte Variante des Baurats Wagner, Rathaus und Wasserturm in einem Bauwerk zu kombinieren. Nicht zuletzt mag dazu beigetragen haben, dass dadurch erhebliche Baukosten eingespart werden konnten, denn der Bau konnte nunmehr gemeinsam vom Kreiswasserwerk, dem Kreis Niederbarnim und der Gemeinde Neuenhagen finanziert werden. Am 3. Dezember 1924 wurde dieser gemeinsame Bau durch einen Vertrag zwischen Kreis und Gemeinde und am 22. Januar 1925 durch einen Vertrag zwischen Gemeinde und ABA rechtlich gesichert. Die Gemeinde hatte die Kosten für die unteren Geschosse zu tragen, die für das eigentliche Rathaus und einige Wohnungen vorgesehen waren.

Der bisher vorgesehene Bauplatz auf dem Bullenberg eignete sich aber nicht für einen Rathausbau. Er lag zu sehr am Ortsrand. Es wurde beschlossen, das kombinierte Bauwerk auf dem 66,6 m hohen Mühlenberg, dem heutigen Rathausberg, zu errichten. Hier hatte von 1847 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs eine Bockwindmühle gestanden, die das Getreide der Neuenhagener Bauern verarbeitete. Da unmittelbar am Fuße des Mühlenberges die Kleinbahn Hoppegarten-Altlandsberg vorbeifuhr, war der Antransport der Baumaterialien wesentlich leichter und kostengünstiger. Von einer Verladerampe unterhalb des Mühlenberges konnten die Materialien durch eine Förderbahn mit Seilzugbetrieb direkt zur Baustelle transportiert werden. Die bisherige Baustelle auf dem Bullenberg wurde abgebrochen, das Material umgelagert, und im Januar 1925 wurde mit dem Bau begonnen.

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Grundsteinlegung 1925 mit der Rede von Max Thormann.

Als das Bauwerk schon einige Meter hochgeführt worden war, fand am 10. Mai 1925 die feierliche Grundsteinlegung statt. Die Festansprache hielt der erste besoldete Gemeindevorsteher (sprich Bürgermeister) Neuenhagens, Max Thormann, unter dem Motto: 'Nicht stets gewann, wer kühn gewagt. Doch stets verlor, wer feig verzagt.' Nach den drei traditionellen Hammerschlägen durch Max Thormann wurden zwei Grundsteinurkunden eingemauert, eine vom Kreiswasserwerk Niederbarnim, die die Notwendigkeit eines Wasserturms begründete und die für den Bau Verantwortlichen nannte, und die andere von der Gemeinde Neuenhagen, die einen kurzen Abriss der Geschichte des Ortes gab und die soziale und wirtschaftliche Situation charakterisierte. Im Laufe der Bauarbeiten wurden noch Veränderungen am vorgelegten Projekt vorgenommen. Der steile Fachwerkgiebel, der dem Bau märkischen Charakter verleihen sollte, wurde durch ein niedriges Turmdach ersetzt, so dass der gesamte Bau als reine Backsteinarchitektur erscheint. Die Engelhardt-Brauerei übernahm den Ausbau und die spätere Bewirtschaftung des Ratskellers und konnte dafür gewonnen werden, sich an den Gesamtbaukosten zu beteiligen.

Das Bauwerk konnte bis Frühherbst 1926 fertiggestellt werden, und das neue Rathaus wurde am 25. September 1926 mit einer Einweihungsfeier im Sitzungssaal eröffnet. Eine treffende Beschreibung des Bauwerks gibt ein Artikel, der am 18. Dezember 1926 in der Deutschen Bauzeitung erschien: 'Der Architekt hat die äußere Form des Bauwerkes sehr glücklich gestaltet, denn in der Silhouette bewahrt es den Charakter des Rathauses, und doch verschweigen andererseits die charakteristisch gedrungenen Verhältnisse und die obere fast völlige Fensterlosigkeit des Turmes seine eigene Zweckbestimmung nicht. Er wächst trotzig monumental in quadratischer Grundfläche von 15 x 15 m zu einer Höhe von 35 m bis zum Hauptgesims zwischen den Seitenflügeln empor und wird von einem niedrigen Dach, mit dem er eine Gesamthöhe von 41,75 m erreicht, abgeschlossen. Die straffen lotrechten Pfeilervorlagen mit ihren lustig aufsteigenden Linien verleihen der starren Massigkeit lebensvollen Höhenschwung, und die kurzen Seitenflügel sowie der kraftvolle untere Vorbau wirken in der Hauptansicht wie das stützend umschließende Fundament des gewichtigen Turmbaus. Auch farbenfreudig blickt das Gebäude in die Landschaft hinaus, denn für die äußere Verkleidung ist roter Backstein gewählt. Es sind Sommerfelder Klinker von verschiedenster Farbentönung, die in wahllosem Durcheinander in Abstufungen von hellgelbrot bis blaurot zusammengefügt sind...In Eisenbeton ist im oberen Turmteil der Wasserbehälter mit 1.000 Kubikmetern Fassungsvermögen sowie die dazugehörende Tragekonstruktion erbaut, in gleicher Bauweise die Decken sämtlicher Zwischengeschosse. Im unteren Turmteil und in den Seitenflügeln ist das Rathaus untergebracht, und zwar liegen im Erdgeschoß die Verwaltungsräume, im ersten Obergeschoß betritt man rechts den Sitzungssaal, während links außer zwei Büroräumen auch eine Vierzimmerwohnung nebst Zubehör für den Gemeindevorsteher vorgesehen ist. Das zweite Obergeschoß und ein Turmgeschoß dienen Wohnungszwecken. Aus Sparsamkeitsgründen herrscht im Innern, wo Eisenbetontreppen die Stockwerke miteinander verbinden, größte Einfachheit vor.'

Die Befürchtungen einiger Gemeindevertreter, die über ihren Köpfen sich befindenden Wassermassen von bis zu 1.000 Tonnen Gewicht könnten eines Tages herabstürzen und sie fortschwemmen, konnten von den Fachleuten des Wasserwerks zerstreut werden. Es hat in all den Jahrzehnten, in denen der Betonbehälter ganz oder teilweise gefüllt war, keinen einzigen Unfall gegeben.

Seit Anfang der 1990er Jahre ist der Behälter leer, die technischen Anlagen wie Pumpen usw. sind zum Teil abgebaut. Das Rathaus hat nun keinen 'Wasserkopf' mehr, nur die interessante bautechnische Konstruktion und das Wagnis der damaligen Gemeindevertreter zu solch einer Kombination von Rathaus und Wasserturm können noch heute bewundert werden. 

Ratssaal historisch


70 Jahre nach der Grundsteinlegung war eine Instandsetzung und Modernisierung des denkmalgeschützten Hauses dringend geboten. Seit 1992 geplant, wurde 1996 mit der Rekonstruktion begonnen. Unter der Leitung des Berlin-Charlottenburger Architekten Jörn Pless und in enger Zusammenarbeit mit den Denkmalschutzbehörden galt es, das Baudenkmal wiederherzustellen und entsprechend aktueller Anforderungen und geltendem Recht zu modernisieren.
1999 wurde die Sanierung im Gebäudeinnern abgeschlossen. Im Mittelpunkt der Denkmalpflegemaßnahmen standen dabei die historische Treppe mit angrenzenden Hallenbereichen und vor allem der historische Ratssaal. Durch schichtenweises Abtragen jeder aufgetragenen Farbschicht wurden die originalen Farbtöne von 1926 gefunden und dementsprechend Treppenhaus, Flure und Ratssaal wiederhergestellt. Besonderes Augenmerk beanspruchte die Gestaltung des hohen, rechteckigen Ratssaals: Zwischen Parkettfußboden und rotbrauner, in sechs Felder giebelartig unterteilter Decke ist die Wand gegliedert in ca. ein Meter breite, allseitig horizontal umlaufende Schichten von rotbraun-weiß-gelben Farben. Nach einem Schwarzweißfoto wurden die V-förmigen Decken- und Wandleuchten mit schlanken Messingfassungen rekonstruiert und nachgebaut. Die Wiederherstellung der nicht erhaltenen farbigen Ratssaalfenster, die ebenfalls auf dem alten Foto erkennbar sind und von denen nach fast detektivischer Sucharbeit einige Entwürfe aufgespürt wurden, mag wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen. 1926 fanden sich jedenfalls Stifter und Spender für deren Umsetzung, die dann in den Glasfenstern (teilweise mit Wappen) Erwähnung fanden. Dazu gehörten viele mit dem Galopprennsport verbundene Trainer, Jockeys und die Rennstallbesitzer Carl und Arthur von Weinberg sowie Bürger und Vereine, z. B. Gesangverein Sangestreue, Gesangverein Frohsinn (unser heutiger Männerchor 'Frohsinn 1880'!), Kleintierzuchtverein, Grundbesitzerverein Neuenhagen und Hoppegarten und Gemeinnütziger Frauenbund. Auch heute können diese Fenster nur mit finanzieller Unterstützung von Freunden der Gemeinde Neuenhagen bei Berlin und ihres einzigartigen Rathauses wieder hergestellt werden. Bislang ist es gelungen, drei der ehemals sieben Fenster originalgetreu wiederherzustellen.

Ein Rundgang durch das interessante Bauwerk lohnt jederzeit, und der weite Blick ins Brandenburger und Berliner Land von der Aussichtsterrasse in rund 40 m Höhe entschädigt für die vielen zu erklimmenden Stufen.